Die chronische mechanische Belastung ist eine der wichtigsten Ursachen von Sehnenerkrankungen. Unter physiologischen Konditionen fördert Training die Kapazität der Sehne. Wird die individuelle Grenze des Gewebes jedoch überschritten, kann es zu Mikrotraumatas (Mikrorisse) kommen. Gibt man der Sehne genügend Zeit für Regeneration und hat sie gute lokale Bedingungen Blutversorgung, Nährstoffe), kommt es zur vollständigen Regeneration. Ist die Regenerationszeit jedoch zu kurz und der Blutfluss inadäquat, kommt es zur kontinuierlichen Schädigung der Sehne.
Sehnen reagieren auf wiederholte Überlastung entweder durch Entzündung der Scheide, durch Degeneration der Sehne selbst oder durch eine Kombination von beidem.2
Kommen wir zu einer extrem wichtigen Frage, gerade in Bezug auf Sehnenschmerzen verursacht durch Fluorchinolone: Ist eine mitochondriale Dysfunktion Ursache von Sehnenerkrankungen?
Vor kurzem wurde eine sekundäre mitochondriale Dysfunktion als Ursache einer Tendinopathie postuliert. Es besteht eine Assoziation zwischen oxidativem Stress und chronischer Tendinopathie, reduzierter Kollagensynthese, reduzierter Proteoglykan-Synthese sowie pathologischer Sehnenverkalkungen. In der Elektronenmikroskopie konnte zudem eine reduzierte Anzahl von Mitochondrien gezeigt werden. Beispielsweise wurde in einer Studie mit einem murinen Supraspinatus Tendinopathie Modell, induziert durch subakromiales Impingement, eine Veränderung der Mitochondrien nachgewiesen. Nachdem die Ursache des Impingement entfernt wurde, erholten sich die Mitochondrien graduell mit einer daraufhin folgenden Heilung der Sehne. Im gleichen Tiermodell konnte gezeigt werden, dass die Superoxid Dismutase (SOD), ein ubiquitär im Mitochondrium vorhandenes Enzym, welches das Superoxid-Radikal in Sauerstoff und Wasserstoffperoxid umwandelt, deutlich reduziert war. Die Aktivität der SOD erhöhte sich ebenfalls nach der Entfernung des Impingements. Es wird also spekuliert, dass eine mitochondriale Dysfunktion respektive oxidativer Stress Ursache, aber auch Teil der Heilung von Tendinopathien sein könnte.
Ursache von Fluorchinolon-induzierten Sehnenerkrankungen
Die Schädigung des Kollagengewebes durch Fluorchinolone hat unterschiedliche Mechanismen. Im unten stehenden Text wird auf folgende Eigenschaften eingegangen:
Einfluss auf den Metabolismus von Tenozyten und Einfluss auf Matrix-Metallo-Proteinasen
Einfluss von oxidativen Stress auf die Entstehung von Sehneerkrankungen nach Fluorchinolon-Gabe
Chelation von zweiwertigen Kationen sowie deren Folgen
Wirkung von Fluorchinolon-Antibiotika auf die Hydroxylierung von Prolin zu Hydroxyprolin in der Kollagensynthese
Metabolismus von Tenozyten und Einfluss auf Matrix-Metallo-Proteinasen
Fluorchinolone wirken primär über die Inhibition der bakteriellen DNA-Gyrase, sowie der Topoisomerase IV. Leider haben Levofloxacin, Moxifloxacin & Co. einen direkten Effekt auf den Metabolismus von Fibroblasten. Tenozyten, also sehnenspezifische Fibroblasten, produzieren Kollagen und Elastin, wobei Kollagen für die Stabilität und Elastin für die Elastizität von Sehnen verantwortlich ist.
In Tierstudien konnte gezeigt werden, dass Fibroblasten der Achillessehne, Paratenon und Schulterkapsel nach Exposition zu Ciprofloxacin in physiologischen Konzentrationen vermehrt Matrix degradieren, vermindert neue Matrix synthetisieren sowie die Zellproliferation reduziert war.
Matrix-metalloproteinasen (MMPs) sind Enzyme mit der Funktion des Remodelings von Sehnen. Dieses Remodeling ist entscheidend für die Anpassung der Sehne an Aktivität und steuert den Auf- und Abbau vom Gewebe. Es besteht eine unterschiedliche Expression von MMPs in gesunden im Vergleich zu degenerativen Sehnen beim Menschen. Daher besagt eine Theorie, dass MMPs Einfluss auf die Entstehung von Tendinopathien haben.
Die MMP-3 Expression und Aktivität ist in Sehnen erhöht, welche hohe mechanische Belastungen aushalten müssen wie z.B. die Achilles- oder Supraspinatussehne, da wahrscheinlich vermehrtes Remodeling aufgrund repetitiver Mikrotraumata notwendig ist.
In Studien konnte gezeigt werden, dass nach Exposition zu Ciprofloxacin die Expression von MMP-3 sowie MMP-1 in menschlichen Fibroblasten aus Sehnenzellen steigt. Sind MMPs hochreguliert, führt dies zu dünneren und verminderten Kollagenfibrillen. Dies ist möglicherweise die Ursache für die reduzierte Menge an Kollagen Typ I, Elastin, Fibronektin und Beta-1-Integrin in Sehnen nach Exposition mit Ciprofloxacin.
Aufgrund dieser Veränderungen kann es nach Behandlung mit Fluorchinolonen akut zu Sehnenruptur kommen, speziell in Sehnen mit reduzierter Regenerationskapazität und Sehnen, die vorher schon strukturell beeinträchtigt waren.
Interessanterweise hat der Versuch, Matrixmetalloproteinasen mit (natürlichen) Substanzen zu inhibieren, als Therapie der Fluorchinolon-induzierten Sehnenschmerzen bisher kaum bis wenig Erfolg gezeigt.
Der Einfluss von oxidativem Stress auf die Entstehung von Sehnenerkrankungen
Nach der Exposition zu einem Fluorchinolon-Antibiotikum ist der oxidative Stress deutlich erhöht. Es besteht ein kausaler Zusammenhang zwischen oxidativem Stress und der Induktion von MMP-2, daher geht man heute davon aus, dass oxidativer Stress für die Sehnentoxizität mitverantwortlich ist. Diese Hypothese wird ebenfalls bestärkt durch Studien, die zeigen konnten, dass die Sehnentoxizität der Fluorchinolon-Antibiotika durch die Gabe von Antioxidantien wie Vitamin E oder Coenzym Q10 vermindert werden kann. Die oxidative Schädigung von Mitochondrien in Sehnenzellen nach Exposition mit Fluorchinolonen wurde also bereits berichtet. Aus meiner Sicht ist dies ein klarer Hinweis darauf, dass auch bei den Sehnenerkrankungen durch Fluorchinolone eine sekundäre Mitochondriopathie bedeutsam ist.
Eine allgemeine Therapie mit Antioxidantien scheint also bei Fluorchinolon-induzierten Sehnenschmerzen zumindest als Prophylaxe vor weiterer Schädigung sinnvoll.
Chelation von zweiwertigen Kationen sowie deren Folgen.
Neben der Wirkung auf die Fibroblasten sind Fluorchinolone bekannt für die Chelatierung von 2- und 3-wertigen Kationen wie Kalzium, Magnesium, Eisen oder Zink.5
Magnesium und Eisen sind, neben Vitamin C, wichtige Co-Faktoren der Hydroxylierung von Prolin zu Hydroxyprolin6 und somit auch entscheidend für die Kollagensynthese.
Zusätzlich sind Magnesium und andere Kationen bekannt dafür, dass sie eine direkte Wirkung auf die Regulation von Integrinen haben. Integrine sind Transmembranproteine, welche involviert sind in die strukturelle Stabilität von Zellen, wie z.B. Anhaftung von Zellen an die extrazellulären Matrix oder an strukturelle Stabilität von Zellen, wie z.B. Anhaftung von Zellen an die extrazellulären Matrix oder an anderen Zellen. Heute geht man davon aus, dass Integrine essenziell für die Aufrechterhaltung der Integrität von muskuloskelettalen Gewebe sind.
Interessanterweise konnten ähnliche biochemische Veränderungen gezeigt werden bei Tieren unter einer künstlichen Diät mit Magnesium-Defizit für sechs Wochen und bei Tieren nach Behandlung mit einem Fluorchinolon-Antibiotikum.5 Dies stärkt die Hypothese, dass die Toxizität von Ciprofloxacin und Co. u.a. mit der Chelation von Magnesium zusammenhängt.
Daher ist die tägliche hochdosierte Gabe von Magnesium in der Therapie von Fluorchinolon- induzierten Sehnenschmerzen empfohlen. Eine Substitution von Vitamin C erscheint ebenfalls als sinnvoll, gerade in Anbetracht dessen, dass die meisten Betroffenen in Laboruntersuchungen einen niedrigen Vitamin-C-Spiegel aufweisen.
Die Wirkung von Fluorchinolon-Antibiotika auf die Hydroxylierung von Prolin zu Hydroxyprolin in der Kollagensynthese
Wie beschrieben kommt es durch Fluorchinolon-Antibiotika zur Inhibition der Prolyl-4-Hydroxylase, das Enzym, welches die Aminosäure Prolin zu Hydroxyprolin hydroxyliert.7 Die Hydroxylierung von Prolin findet im rauen Endoplasmatischen Retikulum statt und erfordert u.a. Askorbinsäure (Vitamin C). Wie oben erwähnt, sind weitere Kofaktoren Kationen wie Magnesium und Eisen sowie Alpha- Ketoglutarat.6 Alpha-Ketoglutarat ist ein Schlüsselprodukt des Krebszyklus.
Es bestand bisher die Idee, das fehlende Hydroxyprolin durch beispielsweise Kollagenpulver zu substituieren. Aus unserer Erfahrung kann bisher nicht eindeutig gezeigt werden, dass die regelmässige Substitution irgendeinen Effekt auf die Sehnenschmerzen hat.
Viel häufiger hilft es den Betroffenen, eine hohe Dosis Magnesium zu substituieren. Magnesium hat einen wichtigen Einfluss auf das Nervensystem, da es eine Bedeutung bei der Aktivierung/Inaktivierung von NMDA Glutamat Rezeptoren im ZNS hat.
Weiter oben habe ich mit Studien dokumentiert, dass Schmerzen und Schädigung der Sehne oft nicht korrelieren und man ehr davon ausgeht, dass ein lokales Zusammenspiel zwischen Sehnengewebe und -peripheren sowie zentralen Nervensystem die potenzielle Ursache der starken Schmerzen der Betroffenen ist. Die Beobachtung, dass Magnesium oder Medikamente gegen Nervenschmerzen häufiger zu einer Linderung der Sehnenschmerzen führen als beispielsweise die Substitution von Kollagen oder Vitamin C, untermauert diese Theorie.
Marco Karrer B.Med Co-Authoring: Andrea Gall (Syntax), Ferdinand Dirsch (SEO, Translation), Patrick Horisberger (Content), Michael Rosar (Content) First Publication: 28.05.2023
Quellen:
Pathogenesis of tendinopathies: inflammation or degeneration? Michele Abate et al.
Biology of tendon injury: healing, modeling and remodeling P. Sharma and N. Maffuli; 2006
Mitochondrial Dysfunction and potential mitochondrial protectant treatments in Tendinopathy, Xueying Zhan et al. 2021 DOI: 10.1111/nyas.14599
https://www.amboss.com/de/wissen/Tendinopathie
Musculoskeletal Complications of Fluoroquinolones: Guidelines and Precautions for usage in the Athletic Population; Mederic M Hall, Jonathan T Finnoff, Jay Smith
Mitochondrien, Symptome, Diagnose und Therapie; Bodo Kuklinski
Nonantibiotic Effects of Fluoroquinolones in Mammalian Cells; Sujan Badal, Yeng F. Her, L. James Maher
Histologie das Lehrbuch, Ulrich Welsch, Wolfgang Kummer, Thomas Deller Elsevier 5. Auflage 2018
Alpha-Ketoglutarate: Physiological Functions and Applications; Nan Wu et al.
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